vom aufgeben

Viele menschliche Schicksale sind für Andere unverständlich, unerträglich oder erst gar nicht glaubwürdig. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Leben könnten größer nicht sein. Jeder Mensch fühlt in gleichen Situationen anders und geht ganz anders mit diesen Dingen um. Der eine frisst es tatenlos in sich hinein, der andere redet es sich von der Seele, wieder ein anderer schreibt es auf und ganz andere versuchen es mit Drogen zu bekämpfen also sich zu betäuben und die es gar nicht mehr aushalten suchen den Weg des Freitodes. Alle haben aber eines gemeinsam. Sie haben es nicht leicht.

In meinem bisherigen Leben, das so lang noch gar nicht ist, habe ich schon einige Schicksale gesehen, die Leben der Menschen zogen an mir vorüber und begleiteten mich eine Weile. Dies geschieht zum Teil immer noch. Einerseits erschreckend andererseits gehört es zum Leben dazu. Ich betrachtete in meinem Leben Menschen, die nichts von dem was sie bedrückte aus sich heraus ließen. Und sie Zerbrachen daran. Sie liefen auf zu dünnem Eis, sackten ein und kamen nicht wieder hoch. Verloren für alle Zeiten.

Ich betrachtete in meinem Leben Menschen die ihre Vergangenheit betäuben wollten, sie tranken und schluckten Medikamente. Und auch sie zerbrachen daran. Denn jedes mal wenn die Wirkung, der Rausch nachließ. Erschienen einem die Probleme zwei mal so groß. Und weg waren sie erst recht nicht. All diese Menschen die so zerbrochen sind, kamen nicht von alleine wieder auf die Füße, den meisten konnte geholfen werden. Ich sah sie und freute mich mit jedem Schritt den sie auf das wahre Leben zu kamen. Denn auch ich bin diesen Weg für mich gegangen ohne Betäubung aber doch kurz vor dem Zerbrechen da ich schwieg. Der Weg war sehr weit und beschwerlich.

Zwei Menschen in meinem Leben haben aufgegeben. Und ein dritter ist gerade dabei. Der erste der Aufgab war mein Bruder. Er war einer von Jenen, die alles für sich behielten. Seine Außenfassade war perfekt gestaltet. Er ließ keinen an sich heran. Irgendwann auch mich nicht mehr. Ich kann nur vermuten das er aufgab und mir keine Schuld zukommen lassen wollte. Keiner schaute dahinter. Auch ich nicht. Ich war zu jung. Und doch, als er das erste mal mit den Striemen am Hals nach Hause kam umfasste mich eine Angst. Eine Vorahnung. Und jeder der das darauf folgende Ereignis kennt, weiß das meine Ängste begründet waren.

Es war unser Wald, unser Spielplatz, der einzige Ort in unserem damaligen Leben, an dem wir uns wirklich einmal frei fühlten und Kinder sein durften und das durften wir nicht sehr häufig. Genau an diesem Ort, den ich seit her nie wieder betreten habe und vor dem ich mich immer noch fürchte. Genau dort hat er sich mit meinem Lieblingsspielzeug auf gehangen. Es war ein Springseil mit roten abgegriffenen Holzkugeln an den Enden. Es war meines.

Der zweite Mensch der sein Leben aufgab hat sich von seiner Krankheit überwältigen lassen. Ob er mit ein wenig mehr Lebensmut und Willenskraft diese überwunden hätte kann heute keiner mehr sagen. Aber ich weiß das er nicht mehr kämpfen wollte. Er wollte es nicht mehr und gab auf. Er hat diese Welt verlassen. Ich kann ihn deswegen nicht verurteilen. Jeder geht seinen Weg. Wenn die Kraft aufgebraucht ist hört man einfach auf. Gibt auf und lässt sich fallen. Es waren zu große schmerzen. In der kurzen Zeit die ich ihn kannte, war er mir ein Ersatz für meinen verlorenen Bruder geworden um so härter war es, das auch er mich verlassen musste. Aber er ging und kam nicht wieder.

Den dritten hat man jetzt aufgegeben. Ja er lebt noch, er ist auf eine Art noch da, obwohl er schon mehrfach versuchte dieser Welt den Rücken zu kehren. Aber ob man das, was er jetzt hat Leben nennen kann, zweifle ich sehr stark an. Ich schreibe das man ihn aufgegeben hat, weil er es schon lange tat. Ich weiß nicht viel, denn ich wollte es nicht wissen. Eine Zeit lang habe ich mich für ihn eingesetzt doch als ich merkte, es zerrt auch an meinen Kraftreserven musste ich einen Abstand für mich gewinnen. Obwohl es für mich nicht leicht war ihn fallen zu lassen. Doch ich musste mich selbst schützen. Teilweise komme ich mir schuldig vor. Doch manches mal ist der Abstand doch zu klein, dann werde ich nachdenklich und es fallen die Tränen.

Lasse sie laufen sagt mir jemand zu, lasse sie raus. Doch ich kämpfe dagegen an. Ich will nicht zu tief versinken. Ich gebe nicht auf! Sie haben ein Konzept für ihn ausgearbeitet, doch wird er nie aus diesem Sumpf herauskommen. Er wird nie sagen können: Das habe ich für mich erreicht. Und das sagt mir das er nie einen Grund finden wird, weiter zu kämpfen. Er wird selbst noch weiter aufgeben. Dem Mensch ist nicht mehr zu helfen oder doch? Wenn ich wüsste wie ich dem dritten helfen könnte, ich würde sehr viel dafür geben.

Aufgeben brauche ich nicht, denn mein Leben hat sich dem Positiven zugewandt. Es tut gut, und ich genieße es in vollen Zügen.

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